IoT in Banking – Eine Do-it-yourself Vision

Die Technologien im Bereich Internet der Dinge sind reif. Auf den ersten Blick zeichnen sich zahlreiche naheliegende neue Einsatzmöglichkeiten im Banking ab. Banking of Things ist aber einfach gesagt, denn auf den zweiten Blick zeigt sich, dass ein Engagement in IoT einen grundlegenden Paradigmenwechsel und vor allem zahlreiche neue Fähigkeiten – die vermutlich noch in genügender Reife vorhanden sind – bedingt. Aber was sind eigentlich realistische Anwendungsfälle und Geschäftsmodelle für IoT im Banking?

Die rasante Verbreitung von drahtlosen Geräten mit Sensoren und Internet Zugang wie zum Beispiel Funklautsprecher, Fitnesstracker, Smartwatches, Smarthome Geräte und neu auch Connected Cars verändern die Art und Weise, wie wir mit der Welt um uns herum interagieren. Die Basis bilden Flatrate Datenpläne, die Verbreitung von Wifi aber vor allem die Einführung von 5G Mobilfunk Technologie – sie leiten eine neue Ära der Konnektivität zwischen Menschen und Maschinen ein.

Eine Definition

Das Internet der Dinge ist ein «ein weltweites Netzwerk von miteinander verbundenen Objekten, die eindeutig adressierbar sind und auf Standardkommunikationsprotokollen basierenden Standards beruhen.» Oder einfacher: IoT ist ein simples Konzept – es verbindet physische Standorte, Dinge, Menschen, Tiere und Maschinen mit dem Internet.

Die meisten Definitionen von IoT – wie auch die obige – greifen zu kurz. Sie beschränken sich oftmals auf die Sicht der Vernetzung von eigenständigen Geräten mit dem Internet via Standardprotokollen. Ausser Acht gelassen wird, dass die meisten IoT-Geräte auch über zusätzliche Benutzerinterfaces wie Smartphone App, Smartwatch App, Wearables, Voice Interface, Webanwendung, Notifications etc. verfügen und eine Basis Infrastruktur zum Beispiel Cloudplattform inkl. Administrationsumgebung voraussetzen. Erst im Zusammenspiel führen sie zu einer neuen User Experience, zu smarten Anwendungsfällen einer neuen Generation von Geschäftsmodellen für Banken und Finanzdienstleister.

Anwendungsfälle von IoT im Banking

Obwohl die Technologie reif ist, fällt es Finanzdienstleistern oftmals schwer, konkrete Anwendungsfälle mit Innovationspotenzial zu identifizieren. Eine Studie von Tata belegt, dass Banken primär an Beispielen rund um die digitalen Endgeräte wie Smartphone, Tablet oder neu auch virtuelle Assistenten wie Alexa oder Cortana der Benutzer denken. In zweiter Linie dann an Einsatzgebiete von Sensoren in den eigenen Räumlichkeiten wie Schalterhalle, Beratungsräumlichkeiten oder stationäre Geräte wie Geldautomaten. Sicherlich gibt es in diesem Bereich einige neue Anwendungsfälle wie zum Beispiel:

  • Auswertung der Geolokalität des Smartphones im Kontext von Fraud Detection, Push-Angeboten oder Bewegungsverhalten in der Filiale
  • Zugang zu Selbstbedienungszonen via Smartphone (Citibank)
  • Location based Notification mit Spezialangeboten, Events etc. (Citibank)
  • Vorankündigung des Kunden in der Schalterhalle (Barclays) über Beacons. Der Berater hat schon die Kundeninformationen ersichtlich bzw. der Kunde kann schon in der Schlange auswählen, welche Dienstleistung er benötigt.
  • Gesichtserkennung am Schalter zur Identifikation und Pre-Announcement wie auch Auswertung des Kundenverhaltens (Yorkshire Banking Group)
  • Banking at home – Abfrage von Kontoständen via Alex oder Google.
  • Contactless Payments via Fitnesswatch

Diese Beispiele sind mehrheitlich keine WOW-Faktoren für ein besseres Benutzererlebnis und eine Revolution des Bankgeschäfts sind sie auch nicht. Alle obigen Beispiele haben eines gemeinsam: sie gehen entweder von bestehenden Geschäftsmodellen aus, in welchem das Unternehmen im Mittelpunkt eines Ecosystems steht oder deklinieren Anwendungsfälle rund um bestehende Kanäle und Geschäftsprozesse.

Um das wahre Potenzial von IoT zu sehen, ist ein Perspektivenwechsel nötig und die Akzeptanz zweier grundlegend neuer Annahmen:

  1. Die Bank diktiert nicht mehr die Kundenschnittstelle. Sie besetzt bestenfalls noch wenige von vielen. Und übrigens. viele davon sind neu «Geräte» und nicht mehr Menschen.
  2. Das Ecosystem der Bank steht nicht (mehr) im Mittelpunkt. Die Kunden orientieren sich anhand ihrer Bedürfnisse auf übergreifenden Plattformen.

Vom Kunden her denken

Um IoT-Anwendungsfälle zu identifizieren, ist es wesentlich einfacher, wenn man sich in die Perspektive des Kunden versetzt und die neuen Player an der Kundenschnittstelle und entsprechende Customer Journeys identifiziert. Über welche Geräte verfügt der Kunde bereits? Welche Objekte (wie beispielsweise Fahrzeuge, Smarthome Geräte, Maschinen) besitzt der Kunde oder möchte diese anschaffen?

Neu muss weit über das Smartphone hinaus gedacht werden. Neue Interfaces sind Fitnesstracker, Smartwatches, Personal Assistants zu Hause. Noch einen Schritt weiter gedacht, sind es eben nicht nur Kommunikations- und Unterhaltungsgeräte, sondern zunehmen «Dinge». Im Smart Home vernetzen sich Heizung, Fensterläden, Türen mit lokaler Meteostation, Licht und Musiksteuerung. Im Auto, dem e-Bike, dem Traktor, einer Maschine bis hin zu Zahnbürsten und Kühlschränken sind zahlreiche Sensoren, Selbstüberwachungswerkzeuge und Kommunikationsmöglichkeiten verbaut – unsere Alltagsgegenstände werden digital, intelligent und vernetzt.

Vernetzte, selbstüberwachende Maschinen und Immobilien werden in der Lage sein, über Aufenthaltsort, Status zu informieren oder Dienstleistungen wie Wartung zu bestellen, ihre eigene Versicherung abzuschliessen und Entscheidungen im Vertrauen ihrer Eigentümer zu treffen.

Maschinen werden zunehmend zu autonomen Marktteilnehmern und zu eigenständigen Finanzakteuren mit eigenen Bankkonten und Zahlungssystemen. Sie entlasten uns zum Beispiel beim Bezahlen von Parkhäusern, Roadpricing, Bahntickets, Skipässen etc..

Ecosysteme nehmen keine Rücksicht auf Branchengrenzen

Eine weitere Perspektive ist die Betrachtung aus Sicht verschiedener Ecosysteme. In welchen Ecosystemen bewegen sich die Kunden und welche Services nehmen sie bereits in Anspruch?

Der Artikel von McKinsey «Competing in a world of sectors without borders»

zeichnet ein Bild ab, in welchem nicht Ecosysteme der Banken der Nukleus sind, sondern zahlreiche branchenübergreifende Systeme, welche sich an Kundenbedürfnissen orientieren. Sowohl im Bereich Retail- als auch bei institutionellen Kunden sind es klare Themenbereiche. Beispielsweise Mobilität, Reisen, Immobilien, Gesundheit, öffentliche Dienste oder auch Vorsorge bei Privatkunden, Corporate Banking, Accounting, Maschinen und Mobilien bei Geschäftskunden.

In allen genannten Bereichen sind weiterhin Finanzdienstleistungen und -produkte gefragt: Zahlen, Finanzieren, Vorsorgen etc..  Aber vor allem sind komplett neue Services und Geschäftsmodelle denkbar. Die zentrale Frage ist: Wie kann sich eine Bank in bestehende Plattformen einklinken, um eine substanzielle Rolle in neuen Ecosystemen einzunehmen und was wären IoT spezifische Anwendungsfälle? Erst in der Kombination der Sichten auf Dinge und Ecosysteme fällt es einfacher, Anwendungsfälle und Geschäftsmodelle im Kontext des Internet der Dinge zu identifizieren.

Neue Kundenerlebnisse, branchenübergreifende Prozesse und neue Geschäftsmodelle

“Banking of Things” ist derzeit mehr vages Schlagwort als ein klares, etabliertes Geschäftsmodell. Klar ist, dass neue, spannende Formen von Kundeninteraktionen ermöglicht werden und effiziente, unternehmens- und branchenübergreifende Prozesse automatisiert und effizient abgewickelt werden können. Im Kontext von IoT eröffnen sich für Finanzdienstleister neue Möglichkeiten für Geschäftsmodell Innovation abseits der traditionellen Bankprodukte- und Dienstleistungen.

Der Versuch einer Vision

«Niederlassungen verschwinden zunehmend oder sie kommen ohne Personal aus. Wearables und biometrische Geräte, Fahrzeuge, Maschinen, Wohnungen, Büros und sogar Immobilien werden Informationen melden und Transaktionen direkt mit Banken und Versicherungen in Echtzeit initiieren. Banken definieren sich in neuen Rollen wie z.B. Payments Manager in Ecosystemen, Custodian für Kundendaten und digitalen Assets, Trusted Advisor für die Verwaltung digitaler Identitäten, für die Abwicklung von Smart Contracts oder die Handelsfinanzierung von IoT überwachten Gütern.»

Das Beispiel zeigt: Der Weg zu einer «Banking of Things»Strategie ist kein Spaziergang. Es bedingt tiefgreifendes Umdenken was die Kundenschnittstelle anbelangt und die Akzeptanz, dass eine Bank nicht per se im Kern eines Ecosystems steht. Vor allem werden neue Fähigkeiten nötig sein. Fähigkeiten im Ecosystem, beim Management, im Bereich neuer Technologien wie Cloud, BigData, Plattform Management, Blockchain und entsprechende IT-Sicherheit.

Obwohl IoT-Modelle das Zusammenspiel einer überaus grossen Anzahl verschiedener und neuer Technologien erfordern, wird die grösste Herausforderung nicht Technologie, sondern ein tragfähiges Geschäftsmodell sein.

Am wichtigsten ist die Erkenntnis, IoT-Innovationen nicht als Prozess- oder Produktinnovation zu verstehen, sondern IoT als radikale Geschäftsmodell-Innovation zu entwickeln. Die «Banking of Things»-Vision gibt es leider noch nicht von der Stange. Do it yourself!

Der Artikel wurde ursprünglich in verkürzter Version in der Netzwoche vom 6.11.2019 veröffentlicht.

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